Barbara Nigitz-Arch

Dolmetschgestützte Psychotherapie - Zwischen Hochbelastung und Prekariat  

von Barbara Nigitz-Arch, Dipl.Päd., Psychotherapeutin, Supervisorin iAuS

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Die in Europa angekommenen Migrations- und Fluchtbewegungen des schon in die Jahre kommenden 21. Jahrhunderts verursachen in Europa nicht nur umwälzende politische Debatten, mehr oder weniger wissenschaftliche Diskurse, 

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Ein zweiter Faktor ist die Tatsache, dass viele DolmetscherInnen der im Asylbereich aktuell relevanten Sprachen eigenen Migrationshintergrund mit sich bringen.

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Über einen Faktor dolmetschgestützter Psychotherapie sollten zum Beispiel wir PsychotherapeutInnen uns Gedanken machen:

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Mögliche Anworten

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Die in Europa angekommenen Migrations- und Fluchtbewegungen des schon in die Jahre kommenden 21. Jahrhunderts verursachen in Europa nicht nur umwälzende politische Debatten, mehr oder weniger wissenschaftliche Diskurse, Prinzipienwandel und Verschiebungen politischer Gefüge, sie haben auch erhebliche Auswirkungen auf Berufsfelder und Arbeitswelten. 

Eine durch die Widersprüchlichkeit und Komplexität der Dynamiken besonders betroffene Berufsgruppe ist jene der DolmetscherInnen in Asylwesen und Integrationsberatung. Dabei gelten dolmetschgestützte Psychotherapiesettings neben Translation im Gesundheitsbereich, Asylverfahren und Schubgefängnissen als für DolmetscherInnen besonders belastend, mitunter sekundär traumatisierend. Aus mehreren Gründen.

Ein Argument ist die Tatsache, dass DolmetscherInnen mitunter mehrmals täglich in Assoziierung der Ersten Person / ICH-Form konsekutiv schwerwiegend belastende Szenen zu formulieren haben, welche bei aller Professionalität niemanden unberührt lassen. Und: die beste Sprachvermittlung ist doch jene, in der die dolmetschende Person hinter der Erzählung verschwindet und der/die PatientIn im Vordergrund ist. Allein dieser Arbeitskontext müsste als hochbelastend anerkannt werden!  

Zum Vergleich: selten müssen PsychotherapeutInnen potentiell traumatische Schilderungen in gleicher Häufigkeit und vor allem nicht jener Intensität persönlicher Assoziierung verarbeiten, wie DolmetscherInnen. Denn auch wenn es bei konsequentester „Abgrenzungskompetenz“ der SprachvermittlerIn „nur“ die sprachliche Assoziierung sei: die ICH–Form wirkt im Sinne der Beeinflussung neuronaler Netzwerke (Belege der Priming–Forschung) hin zu Denken, Fühlen und physiologischen Prozessen!  Zurück ▲

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Ein zweiter Faktor ist die Tatsache, dass viele DolmetscherInnen der im Asylbereich aktuell relevanten Sprachen eigenen Migrationshintergrund mit sich bringen.

Was einerseits Ressource sein kann, kann andererseits verstärkend im Sinne des Miterlebens und des Einfühlens wirken, also eigene belastende Erfahrungen triggern, auch wenn diese längst bewältigt oder überwunden scheinen. Abgrenzung sei hier wichtig, so wird dies auch gelehrt und in Supervisionsangeboten bearbeitet. Empathie und soziale Wärme sind jedoch zentrale Wirkfaktoren gelungener dolmetschgestützter Psychotherapiesettings, DolmetscherInnen sind keine Übersetzungsmaschinen, sondern mit der Fähigkeit der Mit-Empfindung ausgestattete Menschen. Der Kommentar auf der Titelseite des UNHCR-Trainingshandbuches für DolmetscherInnen im Asylverfahren belegt diesen Aspekt, wenn er formuliert: „Es ist eine Fiktion, dass ich neutral bin und unsichtbar“.

Bis hierhin sind diese Sichtweisen nicht neu und in der Fachliteratur hinlänglich beschrieben.

Im Kontext meiner Vorarbeiten für eine wissenschaftliche Abschlussarbeit eröffneten sich mir weitere, bisher weniger angesprochene Aspekte, welche mich bei deren Konzeptualisierung in Richtung „fundiert–kollegialer“ Ansätze (Orth, Petzold) vorantrieben. Auch in hypno-systemischen Beratungsansätzen ist das Konzept von „Augenhöhe“ wesentlich formuliert, weiters im Konzept „doppelten Expertentums“, welches in der Triade dolmetschgestützter Psychotherapie auf die Person des / der DolmetscherIn erweitert werden kann.

Kooperation auf Augenhöhe mit anderen Berufen scheint aus der Perspektive der alltäglichen Berufserfahrungen professioneller DolmetscherInnen jedoch keine Selbstverständlichkeit zu sein. Und dies nicht nur aus monetären Gründen.  Zurück ▲

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Über einen Faktor dolmetschgestützter Psychotherapie sollten zum Beispiel wir PsychotherapeutInnen uns Gedanken machen: 

Die Wahrnehmung der DolmetscherIn in ihrer / seiner beruflichen expliziten Kompetenz und somit als Kollege / Kollegin. Die professionelle (emotional , in Konzentration und Kognition hoch anspruchsvolle) Dienstleistung der Translation macht die Psycho- / Traumapsychotherapie bei Sprachbarrieren überhaupt erst möglich. Als „ErmöglicherInnen“ dienen sie somit PatientInnen und TherapeutInnen gleichzeitig. Und dies meist unter schwierigen Arbeitsfeld–Bedingungen für den/die Dolmetscher! Weiters: Wie kann verhindert werden, dass die Sprachvermittlerin in der Triade des therapeutischen Settings unbewusst dem Patientensystem zugeordnet wird? Intervision und Supervision von PsychotherapeutInnen sollte diesbezüglich Abhilfe schaffen und ebenso berufliche Weiterbildung. Weiters: Wie oft überbrücken DolmetscherInnen jene „gaps“, welche sich aus der Verwendung nicht direkt übersetzbarer Sprachbilder in der Psychotherapie ergeben und helfen somit inhaltlich mit? 

„Profanere“ und nicht selten diskriminierende Faktoren sind folgende: Die Berufsgruppen der PsychotherapeutInnen und der translations-dienstleistenden DolmetscherInnen unterscheiden sich nicht nur in ihrer jeweiligen Entlohnung, sondern auch in anderen Kriterien beruflicher Wertschätzung: Wer nimmt die außerordentliche Belastung dieser Berufsgruppe fachlich so ernst, dass flächendeckend jenseits punktuell eingesetzter Supervisions – Kriseninterventionen stabilisierende Angebote beruflicher Anerkennung niederschwellig implementiert werden – abgesehen von einzelnen Einrichtungen der Integrationsberatung? Es überwiegen prekäre Arbeitsverhältnisse und Werkverträge. Viele Leistungen und Aufwendungen werden insofern nicht entschädigt. Entfallene kurzfristig abgesagte Termine werden häufig nicht abgegolten.

Gut ausgebildete DolmetscherInnen müssen mit semi-professionellen oder Laiendolmetscherinnen konkurrieren, wodurch Dumping-Dynamiken in Entlohnung und gesellschaftlicher Anerkennung entstehen.  Zurück ▲

Mögliche Antworten

Etablieren stabiler vom Auftraggeber finanzierte Einzel- und Gruppensupervisionsangebote, Anrechnung von zeitlichen und finanziellen Aufwänden im Umfeld eines Übersetzungsauftrages (Anfahrt, Nachbereitung, Weiterbildungen), ausbildungsentsprechende Entlohnung fern von Dumping, stabile und reguläre Anstellungsverhältnisse – all dies könnte Arbeitsbelastungen dieses anspruchsvollen Berufes reduzieren und gesellschaftlich–institutionelle Anerkennung zum Ausdruck bringen. Das kostet Geld. Das stabilisiert zugleich Gesundheit, in weiterer Folge Systeme. Auf welche Weise gleichen Entgelt und die im Arbeitsrecht geforderte Fürsorge des Arbeitgebers besondere Belastungen aus? Erste Befragungen lassen leider Düsteres ahnen. Meine Annahme: wer als DolmetscherIn nicht in geborgener Familialität, in Freundeskreis oder gut fundierter Selbstachtsamkeit für effektive Psychohygiene sorgen kann, bleibt mit Überbelastung und emotionaler Erschöpfung so lange alleine, bis der Körper sich „meldet“ – und darüber hinaus. 

nigitz-arch Prekäre Arbeitsverhältnisse bestehen in diesem Berufsstand nicht selten. Werkverträge und (Schein) Selbständigkeit erschweren zusätzlich die Möglichkeit von Krankenstand und Erholungsurlaub, Auszeit und regenerativen Maßnahmen.

Geringe Stundensätze (20.-€/Stunde ohne Anspruch auf Anfahrtsgeld) sind bei Trägern sozialer Beratungsangebote im Migrations- und Asylbereich ebenfalls keine Seltenheit.

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Meine Beobachtungen aus der Erfahrung als Gemeinde-Asylkoordinatorin und als Psychotherapeutin sind die Basis für meinen Plan, in Österreich aktuelle Supervisionsangebote für DolmetscherInnen im Asylbereich zu reflektieren, Bedarfslagen zu hinterfragen und Konzepte der kollegialen Akzeptanz und interprofessioneller Wertschätzung vorzuschlagen.

nigitz-archUnter anderem auch, um Anerkennung zu äußern gegenüber den Leistungen einer gesellschaftlich so bedeutsamen Berufsgruppe, welche einen hohen fachlichen und gesellschaftspolitischen Beitrag leistet und das Recht haben sollte, gesund und in ökonomischer Stabilität ihren hoch–anspruchsvollen Beruf auszuüben, auch dann, wenn sie im Feld des Asylwesens und der Integrationsberatung tätig sind.